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Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) plant, den Geltungsbereich der gesetzlichen Vorschriften für Fahrräder mit Hilfsmotor zukünftig weiter zu fassen. Dies hat Konsequenzen insbesondere für die Halter von einspurigen mehrsitzigen Fahrrädern, also Tandems, Triplets und Quads.
"Wir planen keine Gesetzesverschärfung," so Dr. A. Scherz vom BMVI. "Es geht lediglich darum, die Richtlinie 2006/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2006 anzuwenden."
In dieser Regelung sei in Artikel 1, Satz 1 a) und h) eindeutig festgelegt, welche Zusatzleistung dem Fahrer eines Fahrzeuges zur Verfügung stehen darf, damit es sich noch um ein genehmigungsfreies Fahrrad handele. Fahrzeuge mit Hilfsmotor fallen nur dann nicht in den Genehmigungsbereich der EG-Richtlinie, wenn ohne Tretunterstützung des Fahrers eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 6km/h nicht überschritten wird oder wenn der Hilfsantrieb eine maximale Leistung von 250 Watt bietet und beim Erreichen einer Geschwindigkeit von 25km/h unterbrochen wird.
Gemeinsam mit Experten des TÜV und der Sporthochschule Köln hat das BMVI in einer ausführlichen Versuchsreihe untersuchen lassen, wie in diesem Zusammenhang die Leistung der Beifahrer auf mehrsitzigen Fahrrädern — den so genannten "Stokern" — einzuschätzen ist.
Professor P. Kraft von der Sporthochschule Köln erläutert die Ergebnisse: "In praktisch allen unserer Versuche gelang es den Stokern, das Fahrrad auf eine Geschwindigkeit von über 6km/h zu beschleunigen und diese Geschwindigkeit auch über eine Strecke von mehreren hundert Metern zu halten, ohne dass der Fahrzeugführer — der so genannte "Captain" — selbst treten musste."
Schwieriger und aufwändiger waren die Messungen der Nenndauerleistung. "In diesem Bereich konnten wir belegen, dass bei Fahrzeugen mit drei oder vier Sitzen die Richtlinienbegrenzung von 250 Watt durch die Stoker in 83,6% aller Fälle überschritten wurde." so Prof. Kraft. "Bei Fahrzeugen mit nur einem Stoker konnten wir feststellen, dass viele der besser trainierten Radfahrer zwar mit Anstrengung, aber doch regelmäßig, für kurze Zeit — und zum Teil sogar deutlich — über die Grenze von 250 Watt kamen." Auch eine Abregelung beim Erreichen einer Geschwindigkeit von 25km/h sei nicht erfolgt. "Im Gegenteil: In unserem Testaufbau wurde durch den Hilfsantrieb des Stokers sogar die nächsthöhere Abregelungsgrenze von 45km/h vielfach erreicht oder sogar überschritten."
Nach Meinung des BMVI-Experten Scherz mache es keinen Unterschied, ob ein Fahrradführer durch einen Elektro-, einen Verbrennungs- oder einen Müslimotor unterstützt würde. Die Regelungen der EG-Richtlinie seien da eindeutig. Deshalb seien mehrsitzige Fahrräder als Kraftfahrzeuge einzustufen.
Sofern sich das BMVI mit seiner Ansicht durchsetzt, hätte dies erhebliche Konsequenzen für die Halter und die Fahrer von Tandems, Triplets und Quads. In der rechtlichen Einordnung würden diese Gefährte dann in dieselben Klassen fallen wie schnelle Pedelecs, E-Bikes oder Mofas.
Für den Halter eines mehrsitzigen Fahrrades gilt dann, dass er für das Fahrzeug eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen benötigt. Eine solche Betriebserlaubnis muss vom Hersteller oder Halter beim TÜV beantragt werden und wird nur erteilt, wenn das Fahrzeug allen sicherheitsrelevanten Vorschriften genügt. Beispielsweise sind Rückspiegel vorgeschrieben.
Nicht nur auf den Halter, auch auf den Fahrer eines Tandems kommen dann einige Änderungen zu. So muss er beispielsweise die Fahrzeugpapiere jederzeit mitführen. Weiterhin, und das ist wichtiger, muss der Captain selbst eine Fahrberechtigung bzw. einen Führerschein besitzen, und zwar mindestens eine der Klasse AM. Dies schließt ein Mindestalter von 16 Jahren ein.
Genauso wie für schnelle Pedelecs, E-Bikes und Mofas gelten dann auch für mehrsitzige Fahrräder die Regeln für Kleinkrafträder. Dazu gehört, dass Radwege nicht mehr befahren werden dürfen und dass Verbote für Motorräder zu beachten sind. Über die Erlaubnis, Kraftfahrstraßen und Autobahnen zu befahren, wird noch gestritten, da §18 StVO verlangt, dass hierfür eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von mindestens 60km/h erforderlich ist. Laut Prof. Kraft wurde diese Geschwindigkeit auf ebener Strecke nur bei weniger als 4,7% der Testfahrten erreicht.
Mit der Einstufung als Kleinkraftrad gelten für den Captain neben einer Helmpflicht auch die verschärften Regeln, die für Fahrzeugführer von Kraftfahrzeugen gelten: strengere Grenzwerte beim Fahren unter Alkoholeinfluss, strengere Strafen beim mobilen Telefonieren, eine Mindestprofiltiefe bei Reifen sowie die Verwendung von M+S-Reifen bei Schnee- oder Reifglätte.
Reaktionen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) und der übrigen Radfahrerverbände lagen zum Redaktionsschluss noch nicht vor. Auch die Hersteller und Importeure von Tandems, die ihre Produkte zukünftig mit einer allgemeinen Betriebserlaubnis ausstatten müssten, waren zunächst nicht zu einer Stellungnahme bereit. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) wies lediglich darauf hin, dass nach Absatz 1, Satz 1 d) der entsprechenden EG-Richtlinie von deren Regelungen alle Fahrzeuge nicht betroffen sind, die für den sportlichen Wettbewerb bestimmt sind. Man könne also unabhängig von den Planungen des BMVI weiterhin Tandemrennen veranstalten.
Nicht verborgen geblieben ist den Experten des BMVI, dass eine Reihe von Tandems lediglich als Kindertransporter verwendet wird. Bei solchen Eltern-Kind-Tandems werden die Grenzwerte der EG-Richtlinie normalerweise nicht erreicht. Weder schafft es das Kind, das Tandem allein auf über 6km/h zu beschleunigen, noch eine Zusatzleistung von mehr als 250 Watt zu liefern.
BMVI-Sprecher Scherz führt aus, dass für diese Fälle eine generelle Ausnahmegenehmigung geplant sei: "Wir wollen Eltern-Kind-Tandems weiterhin als Fahrräder einstufen." Dazu gehöre jedoch, dass das Rad dauerhaft für den Kindtransport eingerichtet sei und von einem erwachsenen Stoker nicht benutzt werden könne. Denkbar wäre es, Fahrzeuge von den Beschränkungen der EG-Richtlinie zu befreien, wenn der Stokersitz — beispielsweise über ein hochgesetztes Tretlager oder eine nicht herausziehbare Sattelstütze — auf eine Beinlänge von unter 70cm beschränkt würde. An Stelle des Versicherungszeichens sei dann ein Schild anzubringen, das auf den minderjährigen Stoker hinweist, also z.B. "Kevin an Bord".
Die Redaktion bedankt sich bei den Tandemfamilien N., R., B. und D. für die freundliche Überlassung von Bildmaterial.
Darf ich diesen Text teilen?
Gerne, aber bitte mit Quellenangabe oder als Link.
Muss ich diesen Text als Aprilscherz kennzeichnen?
Nein, wir gehen davon aus, dass jeder
halbwegs intelligente Leser die Absurdität dieses Beitrags auch so erkennt.
D. Ansicht – 1. 4. 2015
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